Silent Rider oder wie Lärm geplagte Mitbürger politischen Einfluss gewinnen
Etikettenschwindel oder politisches Erfolgsmodell
Zu allem was uns die Corona Pandemie beschert hat und möglicherweise noch bescheren wird, werden für uns Motorradfahrer voraussichtlich noch weitere Einschränkungen hinzukommen - sofern es nach den Vorstellungen einiger Landesregierungen und Parteien geht - die im Verlaufe des letzten Jahres auf den Weg gebracht wurden.
Bekanntlich wurde aus dem Bundesrat heraus die „Entschließung […] zur wirksamen Minderung und Kontrolle von Motorradlärm“ auf Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen am 15.5.2020 beschlossen und an den Bundestag in seiner endgültigen Fassung zur weiteren Befassung weitergeleitet.
Die Fantasien der Initiatoren und der damit befassten Ausschüsse im Bundesrat reichen darin bis zum exklusiven Fahrverbot für Motorräder an Wochenenden und Feiertagen sowie einer Abkehr vom Schuldprinzip zu einer unmittelbaren Halterhaftung.
Ein wenig Einblick in die Entstehung dieser Vorlage ist bisweilen hilfreich, wenn man verstehen will was dahintersteckt und welche Interessen hier eigentlich zum Ausdruck kommen. Deshalb ein kurzer Abriss zur Entstehung der Entschließung und ihrer Bearbeitung in den Anschlusssitzungen. Nach der Beratung durch sieben Fachausschüsse waren aus schlichten drei Punkten ganze Zehn geworden.
Die ursprüngliche Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen, mit einem lediglich drei Punkte umfassenden Antrag Drucksache 125/20 „Entschließung zur wirksamen Minderung und Kontrolle von Motorradlärm“ vom 10.03.2020 wurde laut Minister Winfried Hermann (Baden-Württemberg) auf Initiative des Verkehrsministerium Baden-Württemberg zu einem umfassenden Forderungskatalog mit zehn Punkten erweitert.
Im Herbst bringt die Bundestagsfraktion Bündnis90/die Grünen im Bundestag zusätzlich noch einen eigenen Antrag ins Parlament ein und fügte dem noch weitere Restriktionsfantasien hinzu.
Kernpunkte dieser Entschließung sind mögliche Fahrverbote an Wochenenden und Feiertagen für Motorradfahrer, die Begrenzung der Lärmimission von Motorädern auf 80 Dezibel in allen Fahrzuständen und weitere skurrile Forderungen, wie z.B. die Beweislastumkehr für Halter von Motorrädern.
Bündnis90/die Grünen sind schon seit Jahren auf dieser Schiene politisch aktiv. Entsprechende Anträge bzw. Anfragen im Bundestag belegen dies. So kann man in einer kleinen Anfrage vom 04.04.2012 mit der Überschrift „Eindämmung von Motorradlärm“ einen sechzehn Punkte umfassenden Fragekatalog finden, der am Ende auf einschlägige Änderungen der StVO abzielt, welche bei Feststellung „unnötigen Lärms und vermeidbarer Abgasbelästigung“ eine Handhabe bieten würden, um zusätzliche Sanktionsmechanismen zu etablieren.
Diese Art der Anfrage finden wir in den Folgejahren mehrfach wiederholt, jedes Mal ist der Grundtenor der einleitenden Sätze derselbe wie man sie in den Verlautbarungen von SilentRider, anderen Umweltgruppen und Bürgerinitiativen findet.
Es wird ein Konflikt postuliert, der im Prinzip in einer Unvereinbarkeit von Ruhebedürfnis sowie Unversehrtheit bestimmter Regionen und dem Freizeitvergnügen respektive dem Lebensstil einer bestimmten Gruppe – der Motorradfahrer – kulminiert.
Der Zeitpunkt der „Entschließung“ ist geschickt gewählt, da der mediale Aufmerksamkeitsfokus gegenwärtig auf die Bewältigung ganz anderer und wesentlich wichtigerer Probleme gerichtet ist. Gegenwärtig sind wir aus gutem Grunde mehr mit der Bewältigung der Folgen von Corona Pandemie und Lockdowns beschäftigt.
Die Verteidigungsstrategien der jeweiligen Motorradfahrerverbände und Adhoc-Vereinigungen blieben hingegen auffallend defensiv. Deren Strategien beschränken sich ihrerseits im Wesentlichen reflexhaft auf die Aussonderung und Sanktionierung sogenannter schwarzer Schafe, die man einer Regelverletzung bezichtigen konnte. Ob die lautstarken Demonstrationen hilfreich waren muss sich noch herausstellen.
Entsprechend hämische Kommentare waren sofort da. Die Reaktion des BVDM beschränkte sich im Übrigen auf die Forderungen nach mehr Kontrolle, Kontrolle und nochmals Kontrolle. Auch die Biker Union konnte nicht wirklich gegenhalten. In der Öffentlichkeit ist diese und die von ihr dominierte MID vielmehr nahezu unsichtbar geblieben. Vielmehr machten sich vermehrt adhoc gebildete neue Interessenvertretungen bemerkbar.
Es sind immer die berühmten schwarzen Schafe, auf die sich trefflich mit dem Finger zeigen lässt. Unterstellt wird diesen dann ein nicht hinnehmbarer Regelbruch. Und wie es die Eigenart einer Regelverletzung ist, wer sich nicht an die Regeln hält, ist ein Betrüger und hat das Spiel zu verlassen. In den Papieren wird dieser Zusammenhang mit einer Analogie zum Dieselskandal explizit hergestellt. Damit werden die Hersteller und die Verbraucher gleichermaßen skandalisiert.
Regelbruch und Normerfüllung, zwei völlig unterschiedliche Dinge, doch immer wieder miteinander vermengt.
Eigentlich haben wir es genau genommen bezüglich der Lärmproblematik gar nicht mit einem technischen Problem zu tun, denn ein solches lässt sich innerhalb eines technisch machbaren Rahmens lösen. Vielmehr muss ist in der Auseinandersetzung ein Defizit bzw. sind Differenzen betreffs sozialer Normen zu konstatieren.
Sinnfällig wird das Problem, wenn mit jenen, die als problematisch oder störend empfunden werden nicht mehr auf Augenhöhe diskutiert wird, weil die Gesprächsgrundlagen unterschiedliche sind.
In einer Studie für die Tiroler Landesregierung, die unter anderem als Grundlage für die Forderungen der Grünen als auch des BUND fungiert, kommt dies sehr deutlich zum Ausdruck, so folgern die Autoren in ihrem „Fazit zu Besonderheiten der Störung durch Motorräder“ dass: „Die ganz besondere Belästigungsreaktion, die von Motorrädern an sich hervorgerufen wird, [..] stärker noch als im Falle anderer Lärmquellen nicht allein dem Schalldruckpegel geschuldet [ist], sondern von einer Vielzahl von Faktoren bestimmt: Die Geräuschcharakteristik ist dabei zweifellos mitentscheidend: Besonders hochtourige, sehr plötzlich auftretende Geräusche wirken alarmierend, während tieferfrequente, gleichmäßige Tonalität nicht diesen aggressiven Eindruck vermitteln. In diesem Zusammenhang zeigen sich auch die Verbindungen zu anderen Aspekten, wie etwa dem unterstellten oder auch tatsächlich gegebenen andersartigen Fahrverhalten, das auch durch die Geräuschcharakteristik mitgeprägt wird. Motorrädern wird von einer großen Mehrheit der Befragten – auch in Zusammenschau mit anderen Variablen – ein aggressiveres Verhalten im Straßenverkehr vorgeworfen als anderen Verkehrsteilnehmerinnen und –Teilnehmern.“
Die Klage über die Belästigung durch Motorradlärm folgt typisch einer Skandalisierungslogik auf Seiten der Beschwerdeführer und lässt uns Motorradfahrer in einer Beziehungsfalle zurück. Das Perfide daran ist, dass - wenn erst einmal in Gang gesetzt – dies eine eigene Dynamik entwickelt, in deren Folge der Skandal „gegensätzliche Ansprüche auf Geltung von Normen“ in Bewegung setzt.
Der Skandal wird schließlich zum gesellschaftlichen Ort zur Durchsetzung möglichst disparater Interessen.
Beleg hierfür ist zum Beispiel das Fazit eines Gesprächs zwischen Vertretern „Initiative Motorradlärm“ des Ostalb Kreises und der Biker Union im vergangenen Sommer, in dem es dann heißt „Die Gesprächsteilnehmer waren sich einig darüber, dass es um gegenseitige Rücksichtnahme und ein gutes Miteinander gehe. Dazu müssten auch die Motorradfahrerinnen und Motorradfahrer ihren Beitrag leisten. Hier wollen die Vertreter des runden Tisches ansetzen und gemeinsame Lösungen finden.“ Dass wir Motorradfahrer unseren Beitrag leisten müssen und werden, kann man ohne Probleme unterschreiben. Doch fragt man sich, was die Gemeinden – also die Beschwerdeführer - als Beitrag leisten wollen. Da bleibt man besser unkonkret, worin aber – stellt sich die Frage - soll die Gemeinsamkeit der postulierten Lösung bestehen.
Das Problem für die Community der Motorradfahrer liegt, das wird perspektivisch anhand solcher Vereinbarungen, zu einer äußerst schwachen Position eines Angegriffenen, denn sie erlaubt es dem Angreifer dessen Position auf Dauer zu skandalisieren.
Aber warum gibt es dieses Manko für uns Motorradfahrer überhaupt? Mit Sicherheit liegt das im Selbstverständnis vieler Motorradfahrer, bedienen die meisten von Haus aus schon das Skandalticket durch ihr eigenes Verhalten, ihren Auftritt und Gebaren.
Sie stellen sich selbst oftmals als diejenigen dar, die jenseits des Mainstreams ihre Freizeit verbringen. Sie unterstreichen ihre größere Risikobereitschaft oder einen zur Schau getragenen eigenen Habitus. Äußerlichkeiten wie Motorradmontur oder Kutte sind mitunter auch Zeichen der Selbstausgrenzung.
Damit begeben sich Motorradfahrer auf einen verhängnisvollen Weg der Selbstmarginalisierung. Selbstbild und Fremdwahrnehmung fallen insofern notwendig auseinander. Die Differenz könnte nicht größer sein und infolgedessen steht es schlecht um den politischen Einfluss.
Typische Zeitungsmeldungen wie „Motorradfahrer demonstrieren lautstark für Krach“.
Mit solcherart Verurteilung von Teilen der Motorrad Gemeinde, mit den Attributen Krachmacher, Raser oder schlicht schwarze Schafe, d.h. die Absonderung von Teilen der Gemeinde verhindert eine Diskussion über das eigentliche Problem, da der Rest der Motorrad Fahrer sich entweder mit den Bezeichneten solidarisieren muss oder auch mit dem Finger auf diese zu zeigen hat, will man sich nicht auch gleichermaßen ausgrenzen, die Zuordnung zu den Marginalisierten erfolgt dann automatisch von außen. Wer sich nicht ausdrücklich distanziert ist selbst schuld und braucht sich nicht wundern gewahr zu werden, dass man die Finger der Klagenden auf sich selbst gerichtet wahrnimmt.
Wenn man in die Gedankenwelt und Vorstellungen mancher „fortschrittlich-umweltbewegten Mobilitätsexperten/in*“, eintaucht und sich genauer ansieht was dort zur Grundlage einer zukünftigen Welt gemacht wird, dann bewegt man sich zwangsläufig auf eine getaktete, verwaltete und durchkalkulierte Welt zu.
Die Vorstellung von einem rein zweckmäßigen Motorradfahren ist jedoch an sich schon widersprüchlich, denn schließlich ist es die Eigenart der unmittelbaren Erfahrung des Motorradfahrens, die unserem Hobby eigen ist. Motorrad fahren ließe sich mit anderen Worten auch als gefühltes Leben charakterisieren.
Motorrad fahren entspricht ja der unmittelbaren Erfahrung des vollen Lebens. Es entzieht sich in seiner Unmittelbarkeit jedem Versuch zweckorientierter rationaler Begründung, daher ist das Motorradfahren für Außenstehende auch so schwer zu verstehen.
Man kann auch sagen, mit dem Motorradfahren ist es wie mit dem Essen, man muss davon kosten, um es zu verstehen, um zu wissen, wie es schmeckt. Erst mit dem erleben wird es verständlich. Eine Annäherung durch schöne Bilder oder Berichte ist allenfalls oberflächlich, wer kann schon den Geschmack eines hervorragenden Gerichts angemessen wiedergeben.
Und zum Schluss noch als abschließende Bemerkung, eines sollte wohl klar sein, die Grundlage unserer Kultur ist durch das Streben nach Glück und einem schönen Leben bestimmt.
Und das Projekt des schönen Lebens entspricht mitunter der Absicht, äußere Umstände dahingehend zu manipulieren, zu verändern, anzuordnen, dass sie - gemäß ihrer Funktionalität - den Glückserwartungen und Vorstellungen entsprechen und nicht andersherum.
Ralph Hutwelker